Wo wir uns finden 2017
Konzert für Percussionquintett und Orchester
„Sieh, so müssen Gottes Güter von einem zu dem andern fließen und allgemein werden, dass sich jeder seines Nächsten so annimmt, als wäre er’s selbst. Aus Christus fließen sie uns zu, ... aus uns sollen sie zu denen fließen, die ihrer bedürfen, und zwar so völlig, dass ich auch meinen Glauben und meine Gerechtigkeit für meinen Nächsten vor Gott einsetzen muss, um seine Sünden zu decken, auf mich zu nehmen und nicht anders zu handeln, als wären sie meine eigenen Sünden, gerade so wie Christus an uns allen gehandelt hat. Sieh, das ist die Natur der Liebe, wenn sie wahrhaftig ist!“
(Martin Luther: Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520))
Mit diesen wunderbaren Worten beschrieb Luther vor 500 Jahren das Wesen echter Partnerschaft: Helfen, Füreinander eintreten, die Fehler der Anderen als die Eigenen annehmen. Wie revolutionär und notwendig, zugleich aber auch utopisch dies ist, erfahren wir im Jahre 2017 so deutlich wie lange nicht mehr.
Beauftragt, ein Stück zu komponieren, das die beiden Jubiläen „500 Jahre Reformation“ und „25 Jahre Kreispartnerschaft Märkischer Kreis/Landkreis Elbe-Elster“ zueinander in Beziehung setzt, haben wir Luthers Sätze als Forderung angenommen. Zunächst als Kompositionspartner, die füreinander mitdenken, mitunter auch eigene Absichten verwerfen müssen, um zu einer gemeinsamen Lösung zu gelangen. Als Pädagogen, die die Lebens- und Gefühlswelt der jugendlichen Spieler zu bedenken haben, ebenso wie deren spieltechnische Fähigkeiten. Vor allem aber als Musiker, die mit dem Märkischen Kreis eine ihnen bis dahin unbekannte Region entdecken wollten, neugierig auf deren Geschichte, auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur eigenen Heimat. Um es vorwegzunehmen: wir fanden sehr viel Gemeinsames, sehr viel Inspirierendes.
Mit Wo wir uns finden 2017 ist nun ein Werk entstanden, das am Beispiel unserer Landkreise verschiedene Aspekte der Partnerschaft thematisiert und damit verallgemeinert. Denn die Notwendigkeit partnerschaftlichen Denkens endet nicht an irgendwelchen Grenzen; im Gegenteil: an diesen beginnt sie erst.
Der erste Satz „Dobry Ług - Gute Wiese“ (davon abgeleitet der Ortsname Doberlug) thematisiert die notwendige Partnerschaft zwischen Mensch und Natur, ohne die unser Fortbestehen letztlich unmöglich ist. Das Percussionquintett übernimmt hier die Rolle der Siedler, das Orchester vertritt eine reichhaltige Landschaft. Beide arbeiten „Hand in Hand“, lassen einander Raum zur klangvollen Entfaltung. Dieser Teil ist zugleich ein lyrisches Portrait unseres Landkreises Elbe-Elster; eine Landschaft, die einst für „gut zum Leben“ befunden wurde und in der es sich auch heute wunderbar leben lässt.
Der zweite Satz „Lenneschiene“ trägt den Untertitel „Partnerschaft versus Konkurrenz“. Inspiriert ist dieses Scherzo von einem Besuch der Drahtfabrik Claas/Klinke Altena; so folgt die Musik hier auch sehr bildhaft dem Prozess des Drahtziehens: dem abwechselnden Ziehen (durch ein Loch) und sich daran anschließenden Erhitzen bei hohen Temperaturen.
Der märkische Kreis ist bekanntermaßen ein Zentrum der historischen deutschen Drahtfabrikation. Doch auch in der Lausitz wurde und wird Draht gezogen, so heute noch in Finsterwalde (Voestalpine). Können Konkurrenten trotzdem Partner sein? Unsere Musik versucht, eine Antwort darauf zu finden.
Der langsame dritte Satz „Legende“ beschäftigt sich mit individueller Partnerschaft. Zugrunde liegt diesem Teil die tragische Sage von „Ingmar und Thorgund in der Klutert“, wie sie Richard Althaus in seinem Buch „Märkische Sagen von Ruhr und Lenne, Volme und Ennepe (1986)“ aufgeschrieben hat.
Der vierte Satz „Reddit Conjunctio tutos“ (Eintracht macht sicher; nach einer Inschrift auf der ersten Schützenfahne der Friedrich Wilhelm Gesellschaft Altena) beginnt mit einer Aufnahme des Liedes „Kein schöner Land in dieser Zeit“, wiedergegeben vom Glockenspiel am Haus Köster-Emden in der Altstadt von Altena. (Dieses Glockenspiel soll an den Verfasser des Liedes Wilhelm von Zuccalmaglio erinnern, dessen Grabstein im oberen Hof der Burg Altena steht. Er schuf es wohl während seiner Zeit als Hauslehrer im Haus Löbbecke im benachbarten Nachrodt.) Das Lied bildet die melodische Grundlage des gesamten Satzes und erklingt zum Ende auch im Original.
Thema dieses Satzes ist nun die Verbindung zwischen den Menschen schlechthin, die Suche nach dem Gemeinsamen und die Überwindung alles Trennenden. Wie sich auf einer belebten Straße verschiedenste Stimmen zu einem Ganzen zusammenfinden, finden sich in unserem Satz neben dem Volkslied Anklänge an afrikanische, arabische, jiddische und regionale Musik sowie immer wieder –quasi als Zusammenfassung- der Lutherchoral „Wir glauben all an einen Gott“. Möge sich die Freude, die uns Musikern gerade das Zusammenfinden von Verschiedenem, bisher Unbekanntem bereitet, auf unsere Zuhörer übertragen. Möge sie uns Kraft geben, die oft auch anstrengende Arbeit echter Partnerschaft zu bewältigen.
„Dass wir uns hier in diesem Tal/ noch treffen so viel hundertmal/ Gott mag es schenken, Gott mag es lenken, er hat die Gnad“
John Rausek/ Lars Weber, Finsterwalde im Juli 2017